Digitales Dänemark V – Die offene Bibliothek

Nach den dänischen Tankstellen und Selbstbedienungskassen geht es weiter mit einem Bereich aus dem modernen Alltag in Dänemark, den ich persönlich sehr schätze:

Selbstbedienungsbibliotheken, oder “offene Bibliotheken”, wie sie hier genannt werden!

Diejenigen unter Euch, die sich gerne in Büchereien aufhalten, kennen das Problem: Abends und am Wochenende, wenn man stundenlang Zeit dazu hätte, in Büchereiregalen nach Schätzen zu stöbern, um anschließend gleich vor Ort in aller Ruhe die Nase in die ausgegrabenen Bücher zu stecken, hat die Bibliothek garantiert geschlossen. Die Öffnungszeiten passen einfach nicht mit der eigenen Freizeit zusammen.

Dieses Problem wurde in vielen dänischen Bibliotheken nun gelöst, mit massiv ausgeweiteten Öffnungszeiten, z.B. wochentags von 7 bis 21 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 8-18 Uhr. Wie funktioniert das? Die Bibliotheken werden in den neuen Randzeiten einfach auf Selbstbedienung umgestellt! In dänischen Büchereien sind ohnehin schon Terminals aufgestellt, an denen die Besucher sowohl die neu zu leihenden Bücher als auch die ausgelesenen Bücher selbst scannen. Der Ausgang ist diebstahlgesichert mit einer elektronischen Schranke, wie man sie aus Geschäften kennt. Wer ein Buch entwendet und die Schranke passiert, wird durch einen Alarm entlarvt. Dank Terminals kann sich das Büchereipersonal um wichtigere Dinge kümmern als um die Herausgabe und Rücknahme von Büchern.

Derart ausgestattet war es kein großer Schritt mehr bis hin zu reinen Selbstbedienungszeiten ohne Personal. Einige ländliche Büchereien, deren Besucheranzahl in keinem Verhältnis zur Personalbesetzung stand und die von der Schließung bedroht waren, stellten komplett auf Selbstbedienungszeiten um. Bei Büchereien in größeren Orten werden die vorhandenen Öffnungszeiten mit Personalbesetzung lediglich um viele Stunden mit Selbstbedienung ergänzt und damit zugunsten ihrer Besucher deutlich verlängert.

Ich selbst nutze die neuen Wochenendöffnungszeiten seit einigen Monaten mit großer Begeisterung! Nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt entdeckte ich in der Ortschaft Ganløse eine kleine, gemütliche Bücherei, die mangels Besucherandrang vollständig auf Selbstbedienung umgestellt ist und an allen Wochentagen “geöffnet” hat. Ich meldete mich dort als künftige Do-it-yourself-Besucherin an (über die Bibliothek im nächstgrößeren Ort) und erhielt einen persönlichen Pincode. Mit diesem Code sowie meiner gelben Krankenversicherungskarte, die in Dänemark weniger eine Krankenversicherungskarte als eine universelle Ausweislegitimation darstellt, sollte ich mich am Eingang des Gebäudes anmelden, woraufhin ich eingelassen werden würde.

Eines verregneten Sonntags machte ich mich also zu meinem ersten Besuch auf. Ich war gespannt. Würde ich mutterseelenallein zwischen all den Bücherregalen und Zeitungen sitzen? Das stellte ich mir merkwürdig vor. Würde das Einlassen überhaupt funktionieren oder würde ich unverrichteter Dinge wieder von dann ziehen?

Bibliotek-Ganlöse

Quelle: http://www.axiell.dk

Nach einer zehnminütigen Autofahrt durch die sehr hügelige Landschaft (dabei heißt es immer, Dänemark wäre so flach) kam ich an der Ganløse Bibliothek an. Der digitale Einlass funktionierte reibungslos. Ich zog meine Karte durch ein kleines Terminal, tippte den Pincode ins Display und schon öffnete sich die Tür zur Bücherwelt. Das windschiefe, weißgetünchte Haus mit Reetdach und die knarzenden Holzdielen verbreiteten eine angenehme, heimelige Atmosphäre. In einer Ecke warteten zwei moderne Computerarbeitsplätze, daneben Unmengen an Bücherregalen und Zeitungsständer, eine andere Ecke war mit Kasperltheater, Malstiften und Spielen für Kinder hergerichtet. Durch das Fenster blickte ich auf eine alte Mühle.

Mölle-Ganlöse

Quelle: http://www.ugo.cn

Ein durch und durch gemütlicher Ort. Am Anfang war ich tatsächlich alleine und genoss die himmlische Ruhe. Denn ich persönlich flüchte mich in die ruhige, inspirierende Atmosphäre einer Bibliothek, um Blog-Artikel und Kurzgeschichten zu schreiben. Zuhause, mit zwei quirligen Kleinkindern, sind die hierfür notwendigen Arbeitsbedingungen nicht immer gegeben 🙂

Später betraten auch noch andere Besucher die Bücherei. Einige setzten sich hin und lasen Zeitung, manche stöberten in den Regalen, wieder andere gaben ihre Bücher ab und verschwanden wieder. Ich war von meinem ersten Besuch so angetan, dass ich von da an regelmäßig 1-2 mal im Monat für ein paar Stunden vorbeischaute.

Im Nachhinein erfuhr ich, dass die Bibliothek in Ganløse die erste “offene Bibliothek” auf Seeland nach dem offenen Konzept darstellte. Die Umstellung auf Selbstbedienung erfolgte 2009. Schon im ersten Jahr stieg die Anzahl der Büchereibesucher um 28 %. Auch die Kundenzufriedenheit verbesserte sich mit den neuen Öffnungszeiten deutlich.

In den letzten Jahren sind Self-Service-Bibliotheken auch in Deutschland am Kommen – nach dänischem Vorbild. In der Ausgabe 1/2013 von “Bibliotheken heute” berichtete das Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz über seine ersten Bibliotheken mit erweiterten Selbstbedienungszeiten: “Selbstbedienungsbibliotheken dieser Art sind derzeit die Antwort auf die forcierte Innovationsinitiative dänischer öffentlicher Bibliotheken.” Im Anschluss gab der Artikel Infos über den Besuch bei dänischen Bibliotheken (Kolding und Middelfart), die im Vergleich zu meiner “hyggeligen” Landbücherei noch moderner arbeiten und z.B. automatisierte Rückgabesysteme anwenden, bei denen Bücher bei der digitalen Do-it-yourself-Rückgabe per Förderband bereits in verschiedene Buchwägen vorsortiert werden, was dem Personal das anschließende Einsortieren ins Regal erleichtert. Der Artikel endet mit dem Satz: ““Wer wissen will, wie die Bibliothek von morgen und übermorgen innen und außen, konzeptionell und technisch ausgestattet aussehen könnte, sollte demnächst eine Fahrt ins nördliche Nachbarland einplanen.”

Die Bibliotheken des kleinen Landes Dänemark als Vorbild! Doch ganz egal, ob Self-Service oder konventionell, ob Lesen oder Schreiben, ob Ausleihen oder Zurückbringen, ob digital oder handschriftlich, ob alleine oder ob mit Kindern an einem verregneten Wochenende: Eine Bibliothek ist immer einen Ausflug wert! Schaut doch auch mal wieder vorbei!

9 Kommentare zu „Digitales Dänemark V – Die offene Bibliothek“

  1. Das ist ja klasse. Stell ich mir wahnsinnig spannend vor, so ganz allein in einer Bibliothek. In Hamburg funktioniert Ausleihen und Abgeben inzwischen auch weitestgehend ohne Personal. Aber ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass man in Deutschland genügend Vertrauen hat, um einen Lesessaal ohne Aufsicht zu öffnen. Liebe Grüße ins gelobte Land 🙂 Stefanie

    1. Liebe Stefanie,
      doch, Deutschland hat sich das Konzept von Dänemark abgeschaut und es gibt einige Bibliotheke nach dem offenen Konzept.
      Zumindest habe ich das bei meinen Recherchen gelesen (das war nur auf ein Bundesland bezogen, aber ob es nicht schon mehrere gibt?). Die Problematik „Besuchsfrequenz“ bei kleinen Büchereien und Personalkosten ist ja überall gleich…
      Ich fands auch spannend, so gemütlich alleine dort zu sein.
      Schöne Grüße
      Mary

      1. Hej Mary, das habe ich inzwischen auch herausgefunden. (Habe bei „meiner“ Bücherei nachgefragt.) Und siehe da: In Hamburg Finkenwerder läuft es schon seit über einem Jahr. Nicht ganz so frei und entspannt wie bei Euch; aber immerhin. Liebe Grüße zurück, Stefanie

      2. Na siehst Du –
        SOOO unentspannt ist ja Deutschland gar nicht mehr in allen Bereichen –
        das wird schon immer ein bisschen besser.
        Freut mich, dass es auch in Norddeutschland offene Büchereien gibt – so ist das wahrscheinlich doch im ganzen Land am Kommen.

        Liebe Grüße
        PS Probierst Du es denn mal aus?

  2. Ich denke da ja auch immer ein bischen an die Mitarbeiter. Was machen die denn jetzt? Immer nur Personal einsparen hat nicht nur Vorteile. Ein Ansprechpartner vor Ort für Fragen oder Hilfestellungen wäre doch schön. Ist aber nur meine Meinung.

    1. Hallo Tilman,
      da sprichst Du auf jeden Fall ein relevantes Thema an!
      Was die ländlichen Bibliotheken angeht, ist es allerdings so, dass die unbesetzten Öffnungszeiten sämtliche Bibliotheken vor der sicheren Schließung gerettet haben, denn die Besetzung hat sich nicht mehr gelohnt – und die Mitarbeiter sind abgezogen worden.

      In den größeren Bibliotheken sind ja weiterhin Mitarbeiter, die man fragen kann – denn natürlich kommt eine Bibliothek generell nicht ohne Mitarbeiter aus – aber da kann der Besucher ja selbst entscheiden, ob er welche benötigt oder nicht und dann die entsprechenden Zeiten aufsuchen.

      In den ländlichen Bibliotheken ohne Besetzung gibt es darüber hinaus natürlich ein Servicetelefon, das man anrufen kann und wo am anderen Ende der Leitung ein Mitarbeiter zur Verfügung steht (in gewissen Zeiten).

      LG
      Mary

      1. Leider ist es auf dem Land so.
        Hier bei uns hat man eine andere Lösung gefunden. Der Landkreis betreibt einen Bücherbus. Eine sehr schöne Lösung, insbesondere für Kinder und ältere Menschen.
        Diese beiden, brauchen meiner Meinung nach den persönlichen Kontakt. Kinder vor allem noch den Kontakt zu echten Büchern. Meiner Erfahung nach ist es für Kinder faszinierend, spannend und macht ihnen einen riesen Spaß.
        Aber ist es nicht schade, dass immer mehr der persönliche Kontakt entfällt. Die digitale Gesellschaft hat meines Erachtens nicht nur Vorteile.
        Reale Bücher haben auch für die Autoren einen riesen Vorteil: Versuche mal eine Raubkopie eines gebundenen Buches zu machen.
        LG
        Tilman

      2. Hallo Tilman,
        Du hast ganz recht – die Digitalisierung hat auch Nachteile, wenn sie übertrieben wird. Der persönliche Kontakt darf nicht komplett entfallen.
        Mary

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