Alltag ohne Hamsterrad

Nach und nach gewinnen wir ein Stück Normalität zurück. Und wissen jedes einzelne Stück SEHR zu schätzen. SO herrlich, wenn nach einer Einschränkung die Freiheit Stück für Stück zurück kommt! Man schätzt die „neue“ Freiheit auf einmal ganz anders.

Die ein oder andere Freiheit kommt scheinbar sogar schneller als ursprünglich geplant. Da die verschiedenen Corona-Kurven offenbar schneller als prognostiziert sinken, beraten die Parteien aktuell, wie die gerade erst begonnene Lockerungsphase 2 mit weiteren Lockerungen aus Phase 3 oder 4 noch schnell erweitert werden kann. Theater, Kino, Zoos, Indoor-Sport u.v.m….  das ein oder andere davon vielleicht doch schon jetzt anstatt erst im Juni?

Darüber hinaus wird jetzt auch über die Grenzöffnungen diskutiert. Hierzu soll es ja spätestens am 1. Juni eine offizielle Meldung geben, ob – und falls ja – wann die Grenzen wieder geöffnet werden. Und WELCHE Grenzen! Es könnte nämlich durchaus sein, dass an dieser Stelle Unterschiede gemacht werden. Schließlich könnte es politisch wie gesundheitspolitisch ein großer Unterschied sein, ob z.B. die Grenze zu Schweden geöffnet wird, also einem Land, das Corona sich in der Bevölkerung vergleichsweise ungehemmt verbreiten lässt, oder ob Einwohner aus Deutschland oder Norwegen einreisen dürfen, die das Virus ähnlich konsequent eindämmen wie Dänemark. Spannend, zu welchem Konsens die Parteien bei diesem wichtigen Thema kommen werden.

Auch in unserer kleinen privaten Welt wirken sich die neuesten Freiheiten erleichternd wie erfreulich aus. Am Wochenende durfte das kleinste Nordlicht z.B. das erste Mal seit vielen Wochen wieder mit seinem besten Freund spielen.

Besagter Freund ist nämlich in der Parallelklasse, und damit außerhalb der bislang erlaubten Spielgruppen. Der zweite beste Nordlicht-Freund ist ebenfalls außer Reichweite gewesen, denn dieser befand sich leider in der anderen Hälfte der geteilten Klasse des kleinen Nordlichts. Wobei hier die Lehrer ein Einsehen hatten und ein oder zwei Augen zudrückten, so dass die zwei kleinen Jungs in der Pause ab und zu eine Viertelstunde zusammen draußen spielen durften.

Die Freude war also immens, als ich letzten Samstag das kleinste Nordlicht bei seinem Parallelklasse-Kindergartenfreund ablieferte. Die Jungs strahlten über beide Ohren ♥

Die Erwachsenen freuten sich offenbar ebenso. Eine halbe Stunde nach Ablieferzeitpunkt stand ich jedenfalls immer noch in der Einfahrt und sprach in gebührendem Abstand aber ohne Punkt und Komma mit den Eltern des kleinen Freundes. Bis mein Sohn beim Versteckspiel zufällig in die Einfahrt gestürzt kam, verdutzt stehen blieb und mich mit gerunzelter Stirn ermahnte, dass doch die große Schwester zuhause auf mich warte. Ups. Nach Wochen der sozialen Isolation ist nun jeder Kontakt ÄUSSERST willkommen und die Zeit steht still, wenn man sich endlich mal wieder mit neuen Gesichtern nett unterhalten kann.

Vor wenigen Tagen kam dann die offizielle Information der dänischen Gesundheitsbehörde SST: Ab sofort darf jedes Kind wieder spielen, mit wem es möchte. Gerne immer noch größtenteils draußen, wenn möglich, aber auch vom Spielen im Kinderzimmer wird nicht mehr abgeraten. Sogar Verabredungen über Nacht sind wieder möglich.

Gestern berichteten mir die zwei kleinen Nordlichter dann freudestrahlend beim Frühstück, dass ihre wegen Corona zunächst halbierten Klassen am nächsten Montag wieder zusammengelegt werden und alle Klassen in ihre früheren Klassenräume zurückziehen. Am Montag kommen ja auch die großen Schüler wieder zurück in die Schulen (abgesehen von Klasse 11 und 12), und mit der neuen Abstandsvorgabe von nur 1 Meter können bei ausreichend großen Klassenräumen die meisten Klassen wieder zusammengelegt werden.

Beide Kinder freuen sich IMMENS auf dieses Ereignis! Trotz Corona-Halbierung haben die Lehrer in den letzten Wochen mit gemeinsamen kleinen Ausflügen und viel Kommunikation ein tolles Stück Arbeit dabei geleistet, das ursprüngliche Klassengefühl zu bewahren! Und am Montag ist es nun wieder soweit – die Klassen finden zusammen. Der Unterricht wird aber nach wie vor größtenteils draußen vor sich gehen.

Eine Woche später soll auch die Nachmittagsbetreuung wieder öffnen. Die Schulen befinden sich seit Corona im „Notunterrichts-Modus“ und Unterricht findet derzeit nur von 8-13 Uhr statt. Die in Dänemark landesweit gängige Nachmittagsbetreuung wurde nur als Notbetreuung für diejenigen Eltern angeboten, die trotz Corona noch physisch an ihrem Arbeitsplatz erscheinen mussten, also nicht per Home Office arbeiten konnten. Der weitaus größte Teil der Kinder kam somit mittags um 13.30 Uhr nach Hause – ein absolutes Novum für ein Land wie Dänemark, in dem die Ganztagsbetreuung ab einem Alter von einem Jahr bis hinein in die Teenagejahre staatlich flächendeckend gewährleistet ist.

Wir genießen diese Novum-Zeit allerdings sehr, muss ich sagen. Es erinnert mich an meine eigene Kindheit in Deutschland ♥ Ich bin den ganzen Tag zuhause, bringe die Kinder in die Schule, hole sie früh wieder ab und wir hyggen die langen Nachmittage zusammen. Ehrlich gesagt…. Ich könnte mich vielleicht sogar dran gewöhnen 🙂

Wobei mir Arbeit und Kollegen auch fehlen… keine Frage. Ich bin nach wie vor „hjemsendt“, das ist eine Art Kurzarbeit. In Dänemark funktionieren die Hilfspakete rund um das Thema „hjemsendelse“ nur mit voller Gehaltsauszahlung an die Mitarbeiter. Insofern genieße ich den großen Luxus eines langen, bezahlten Corona-Urlaubs! Natürlich baumelt über uns aber das Damokles-Schwert der Unsicherheit, wie und ob es mit dem Job zukünftig weitergeht. Es gelingt mir jedoch meist sehr gut, nicht zu diesem Schwert am seidenen Faden aufzusehen.

Als sicherheitsbewusste Deutsche habe ich mich kurz nach der Auswanderung und Antritt des ersten Jobs in Dänemark freiwillig bei einer A-Kasse, einer dänischen Arbeitslosenversicherung, angemeldet. In Dänemark ist die A-Kasse keine Pflicht, und zum Zeitpunkt meiner Anmeldung herrschte Vollbeschäftigung, aber irgendwie schlief es sich mit der Anmeldung gleich besser…  Man kann ja nicht ganz raus aus seiner (deutschen) Haut 🙂 Insofern wäre ich im Falle einer Kündigung zwei Jahre lang ganz gut abgesichert.

Nach WOCHEN mit Anpassungsschwierigkeiten und Langeweile bin ich zwischenzeitlich auch in der neuen Situation angekommen. An manchen Tagen lähmt mich die Langeweile immer noch und dämpft sowohl Energie als auch Lust auf sämtliche Dinge, die ich nun endlich in Ruhe tun könnte. An anderen Tagen gibt die Langeweile jedoch neuen und kreativen Ideen Raum. Man muss sich wirklich erst an die 24/7 Freizeit gewöhnen, wenn man sich vorher täglich in einem sich wild drehenden Hamsterrad abgestrampelt hat.

Ich bringe nach und nach Haus und Garten auf Vordermann, befreie das Terrassendach von Algen, pflanze Tomaten, Chili und Sommerblumen und streiche Schuppen, Zaun und Gartentor neu. Zum Geburtstag schenke ich mir bald selbst eine professionelle Fliesenreinigung mit nachfolgender Imprägnierung. Ich bin sehr gespannt auf die Vorher-Nachher-Impressionen.

Darüber hinaus habe ich dank der vielen Zeit und Muße endlich eine passende Lösung für meine unzähligen Ausflugsbilder gefunden, die einsam und verlassen auf Festplatte, Handy & Co. vor sich hin stauben und sich längst in ihr Schicksal gefügt hatten, nie mehr den Weg ans Tageslicht zu finden….
Für diese habe ich einen kleinen, neuen Blog ins Leben gerufen. Einen Fotoblog!

www.denmarkmylife.home.blog

Langeweile und Jesper Juul lassen grüßen!

Der Blog steckt natürlich noch in den Kinderschuhen, aber er ist die passende Endstation für auserwählte Fotos von Entdeckungstouren und Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung Dänemarks. Der Fotoblog ist mein kleines neues Hobby. Ich übe mich hierfür ein bisschen in Bildbearbeitung und probiere verschiedene Dinge aus.  Die Fotos auf dem Blog sind also eher nicht „clean“, sondern ich habe höchstwahrscheinlich mit ihnen herumgespielt und die reichlich vorhandene Zeit ausgefüllt.

Ihr seht also… Haus, Garten, Fotoblog… und weit und breit kein Hamsterrad in Sicht!

So geht das möglicherweise auch noch viele Wochen.

Das Hilfspaket der Regierung für private Unternehmen endete ja zunächst am 9. Juni. Bis mindestens zu diesem Zeitpunkt bin ich noch zuhause. Die Regierung hat zwischenzeitlich dieses Hilfspaket jedoch um einen weiteren Monat, bis 9. Juli, verlängert. Es ist somit durchaus möglich, dass mein Hamsterrad noch bis zu diesem Zeitpunkt still steht.

Wir nehmen es, wie es kommt.
Kommt Zeit, kommt Rat. Kommt Hamsterrad!

Bei so viel Ruhe und Hygge im Alltag versuchen wir jedes Wochenende,  aus den eigenen 4 Wänden zu kommen. Nach vielen Jahren, in denen ich die kleinen Nordlichter mit stoischer Geduld zu längeren Ausflügen in die Umgebung überzeugen musste, sind es nun oft die Kinder, die mich dazu auffordern, nicht nur eben ums Eck in den Wald oder schnell für eine Stunde an den Roskilde Fjord zu fahren.

„Nicht schon wieder Fjord, Mama! Wir wollen an den RICHTIGEN Strand. Den mit den hohen BERGEN!!!“

Berge…. die kleinen Dänen meinen die Dünen 🙂  In diesen halten sie sich auch stundenlang auf, so dass sich die etwa halbstündige Fahrt an die Nordküste Seelands mit dem „richtigen Meer“ Kattegat dann tatsächlich auch lohnt.


Spielplatz der kleinen Nordlichter


Spielplatz des großen Nordlichts


Spielplatz der „richtigen“ Dänen…
(Diese waren bei 10 Grad und eisigem Wind tatsächlich im Wasser.
Die gesamte Familie!)

Liseleje Strand, wieder einmal ♥

 

Hand aufs Herz… sollte sich mein Hamsterrad bald wieder zu drehen beginnen …. Auf das Pre-Corona-Tempo werde ich es definitiv nicht mehr beschleunigen! Diese Einsicht habe ich aus den letzten Wochen gewonnen. Es MUSS einfach möglich sein, etwas langsamer durchs Leben zu drehen…

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