Noch 4 Wochen bis zur geplanten Kündigung!
Eines Morgens wachte ich auf und fühlte mich merkwürdig nervös. Ich war fahrig und zerstreut. Vor mir lag ein gewöhnlicher Arbeitstag, und es gab überhaupt keinen Grund, nervös zu sein.
Beim Frühstück brachte ich kaum einen Bissen hinunter. Ich machte mich fertig, fuhr zur Arbeit und wurde dabei immer nervöser. Mein Herz klopfte und meine Hände waren feucht.
Etwas verwundert über mich selbst begann ich, den an diesem Vormittag anstehenden Routinetermin mit meinem Chef vorzubereiten. Alle 2 Wochen hatte ich eine „Audienz“ bei ihm und präsentierte alle Statistiken und Werte, die er für die Vertriebssteuerung und für die Leitung der konzerneigenen Post- und Zustellfirma benötigte.
Die meisten Zahlen waren bereits erstellt. Ich musste sie lediglich nochmals checken und kurz meine Erklärungen sowie Analysen durchgehen. Die Zahlen verschwammen vor meinen Augen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, denn ich konnte mich kaum auf die Vorbereitungen konzentrieren.
Schließlich hatte ich es jedoch gerade noch rechtzeitig geschafft! Mit einem dicken Papierstapel unter dem Arm und einem Taschenrechner bewaffnet, machte ich mich pünktlich auf den Weg zum Büro meines Chefs.
Ich war immer noch hibbelig und sehr angespannt. Dies fand ich unerklärlich, da nichts besonderes anstand! Natürlich war es immer etwas spannend, meinem Chef den sehr schwierigen Markt darzulegen und dabei schon im Vorfeld zu wissen, dass ich für meine Bemühungen sicherlich keine Freude ernten konnte. Aber nach gut 7 Jahren als Vertriebscontrollerin im Zeitungsmarkt war ich an die langen Gesichter meiner Zuhörer gewöhnt und ließ mich davon längst nicht mehr abschrecken. Eine besondere Anspannung riefen diese Termine demnach im Normalfall nicht mehr hervor.
Mein Chef war noch nicht da, und seine Assistentin – meine liebe Kollegin Michi – ließ mich schon einmal in sein Büro. Ich setzte mich auf meinen Platz am Besprechungstisch und wartete. Ungeduldig rutschte ich auf meinem Stuhl herum und wischte jede Minute meine Hände an der Hose trocken. Ich war sicherlich so aufgeregt, weil meine Lebensumstände etwas zu spannend und ungewohnt für mich waren.
Nach einer Weile kam mein Chef gut gelaunt ins Büro, begrüßte mich und setzte sich mir gegenüber an den Besprechungstisch.
Erwartungsvoll schaute er mich an. Ich blickte ihn an und schluckte. Mein Herz klopfte laut. Ich räusperte mich, zog mit leicht zitternden Händen meinen Papierstapel zu mir und griff nach der ersten Statistik. Ich sah ich auf die Zahlen. Und sah wieder auf zu meinem mittlerweile leicht irritierten Chef.
Mit einem entschiedenen Griff legte ich die Statistik auf den Stapel zurück und holte tief Luft.
„Ich glaube, ich brauche jetzt einen Schnaps!“, sagte ich.
Mein Chef zog verblüfft die Augenbrauen hoch.
„Wie bitte, Frau G.??“, sagte er. Er runzelte verwirrt die Stirn. „Was ist denn mit Ihnen heute los?“.
„Es tut mir wirklich furchtbar leid, aber … Ich KÜNDIGE!“ brach es plötzlich aus mir hervor.
Mein Chef starrte mich perplex an. Ich war mindestens genauso überrascht wie er. Was zum Teufel war mit meinem Plan, erst nach dem Urlaub zu kündigen??
Die Worte waren heraus! Ich atmete tief durch und langsam trat ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Das meinen Sie wirklich ernst!“, sagte mein Chef, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
Er trommelte kurz mit seinen Fingern auf die Tischplatte und schwieg. Dann grinste er, stand auf und verschwand in seinem Vorzimmer. Als er wieder kam, hatte er 2 kleine Likörfläschchen dabei.
„Die waren ein Geschenk“, erklärte er und stellte mir den Likör hin.
Wir prosteten uns zu und stürzten den Inhalt der Fläschchen hinunter. Danach ließ es sich leichter reden. Ich erklärte ihm meine Pläne und dass es für mich Zeit war, neue Wege zu gehen. Mein Chef war natürlich rein geschäftlich nicht begeistert von meiner Kündigung, aber persönlich fand er es klasse, dass ich meiner außergewöhnlichen Vision folgen wollte. Dass ich etwas tun wollte, was so ganz im Gegensatz zu meinem sonst so vorsichtigen Wesen stand.
„Machen Sie nur mal, Frau Gärtner. Das wird Ihnen gut tun!“, sagte er.
Ich erklärte ihm, dass ich eigentlich bis Anfang Juli mit der Kündigung hatte warten wollen. Wir vereinbarten, dass er die Information über meine Kündigung noch nicht offiziell nutzen würde, bis ich ihm nach meinem Urlaub endgültig grünes Licht gab.
Zu guter letzt besprachen wir die Idee eines zeitbegrenzten Home Offices in Dänemark, um einen Nachfolger für meine Stelle noch adäquat einlernen zu können. Denn für die Suche eines Nachfolgers und für die Übergabe des Vertriebscontrollings blieben insgesamt nur 3 Monate. Da das Know-How der Stelle fast komplett bei mir lag, erschien uns dieser Zeitraum zu optimistisch.
Schließlich beendeten wir das Gespräch. Ich schnappte mir den völlig unberührten Zahlenstapel und schwebte durch den Gang zurück in mein Büro.
Ich fühlte mich wahnsinnig leicht und voller Vorfreude auf ein neues Leben! Ein herrliches, nie gekanntes, befreiendes Gefühl! Ich war aufgeregt und gespannt, wie mein Leben weitergehen würde. Die Zukunft erschien mir wie ein weißes Blatt Papier, das darauf wartete, ganz neu beschrieben zu werden.
Mein Bauch hatte das Steuer übernommen, und es fühlte sich einfach toll an!
Ich hatte es satt, ständig mit dem Kopf dagegenzuhalten und der Vernunft so viel Platz zu geben.
Es gab Zeiten, in der der Kopf das Sagen hatte. Und es gab Zeiten, in der man seinem Herzens folgen musste.
Nun war die Zeit fürs Herz gekommen!