Ich würde kündigen.
Anfang Juli, d.h. in 4 Wochen, würde ich meinen Chef hierüber informieren. Damit wäre mein Arbeitsvertrag zum 30.9. beendet. Im Oktober konnte ich dann nach Kopenhagen umsiedeln und mit meinem Dänen leben.
Mein Bauch fühlte sich mit diesem Gedanken sehr wohl. Die 4 verbleibenden Monate erschienen mir viel zu lange.
Mein Kopf war von den Entwicklungen jedoch zunächst überfordert. Ich hatte eine ordentliche Portion Respekt davor zu kündigen, obwohl es sich so klar und richtig anfühlte.
Schließlich war eine Kündigung ohne neuen Job in petto eher ungewöhlich und von außen betrachtet eher „unvernünftig“. Da mein Däne jedoch aufgrund der Arbeitsmarktsituation in Dänemark keinerlei Zweifel hatte, dass ich nach einer kleinen Schöpferpause wieder einen Job finden würde, wenn ich nur wollte, empfand ich persönlich den Schritt nicht als so unvernünftig wie mein Umfeld. Ich hatte die lockere Selbstsicherheit der Dänen in diesem Bereich schließlich selbst erlebt und fand diese Erfahrung sehr aussagekräftig und ermutigend.
Und in meinem bisherigen Job konnte ich sowieso nicht länger bleiben. Soviel stand für mich fest. Sollte ich also nach einer Weile feststellen, dass ich nicht auf Dauer in Dänemark leben wollte, würde ich einfach mit einer neuen Erfahrung nach Deutschland zurückkehren und hier einen neuen Job finden. In diesem Falle hätte ich mich wenigstens aus meinem jetzigen Job gelöst und wäre dazu gezwungen, auch hier in meiner Heimat neue Wege zu gehen.
Dies war eine Herausforderung für sich. Denn die Ablösung von meinem Arbeitgeber Mannheimer Morgen fiel mir sehr schwer, auch wenn es ganz klar an der Zeit war. Im Jahr 1995 war ich als BA-Studentin in den Konzern gekommen und hatte ein BWL-Studium begonnen. Danach war ich im Verlag untergekommen und arbeitete mittlerweile seit fast 12 Jahren dort. Ich kannte das halbe Haus . Viele nette Kollegen waren zu guten Freunden und Bekannten geworden. Ich war immer gefördert worden und fühlte mich generell in der Firma sehr wohl. Und ich kam sehr gut mit meinem Chef zurecht. Als sehr loyaler Arbeitnehmer empfand ich meine Pläne daher nahezu als Verrat 🙂
Dazu war ich in einem Umfeld aufgewachsen, in dem die Jobsicherheit die höchste Priorität darstellte. Die Arbeitslosenquote in Deutschland sah schon seit Jahren nicht sehr prickelnd aus. Somit war vielen jungen Menschen schon in der Oberstufe des Gymnasiums und später auch im Studium eingetrichtert worden, dass man heutzutage froh sein musste, wenn man einen festen, unbefristeten Job hatte. An diesem sollte man tunlichst festhalten, wenn nicht gerade massive Faktoren dagegensprachen.
In meiner Familie und auch in meinem Freundeskreis war das Wechseln eines Arbeitgebers eine absolute Seltenheit. Die meisten blieben viele, viele Jahre, Jahrzehnte oder gleich ein ganzes Leben lang bei ein und derselben Firma.
Meine Kündigung würde eine Revolution gegen alle diese erlernten und erfahrenen Werte darstellen! Ich würde viele kontroverse Reaktionen auslösen.
Denn was ich tun würde, war durch und durch außergewöhnlich für mein Umfeld, riskant und „unvernünftig“!
Nicht zu wissen, wie es nach der Kündigung jobmäßig weitergehen würde. Nicht zu wissen, ob Dänemark ein passendes Land für mich war.
Nicht zu wissen, ob ich so weit weg von meiner Familie überhaupt leben konnte, ohne von Heimweh ausgebremst zu werden.
Nicht zu wissen, ob meine Fernbeziehung auch im Alltag Bestand haben würde.
Mich einfach ins kalte Wasser zu stürzen und zu sehen, wo es mich hintrieb.
Mein Kopf empfand dies als sehr beängstigend. Mein Bauch fand es fantastisch!
Einige Tage später bat mich mein Vater um ein Treffen. Um ein kleines Krisengespräch unter 4 Augen. Wir fuhren mit den Fahrrädern zur Einhäuser Eisdiele unter den Platanen, kauften uns ein großes Eis und setzten uns auf eine Bank in der Sonne. Dann redeten wir nochmal über meine Entwicklungen. Er sicherte mir seine volle Unterstützung bei meinen revolutionären Plänen zu, auch wenn es ihm natürlich schwer fiel, mich tatsächlich ziehen zu lassen.
Wir besprachen schießlich auch einige Details und Möglichkeiten bei der Durchführung meiner Pläne. Zum Beispiel bot er mir an, dass ich meine Wohnung (die ihm gehörte) behalten konnte, bis ich in Kopenhagen Fuß gefasst hatte. So konnte ich erst mal mit „leichtem Gepäck“ nach Dänemark übersiedeln und sehen, wie ich im Norden zurecht kam. Und ich konnte bei meinen Heimatbesuchen die Wohnung nutzen.
Nach dem Gespräch war ich sehr erleichtert. Die Meinung meiner Familie, und speziell die meines Vaters, bedeutete sehr viel für mich! Nun hatte ich seine Unterstützung im Rücken. Grünes Licht. Die Familie zurückzulassen – das war für mich natürlich auch ein sehr, sehr beängstigender Gedanke. Dass mein Vater meinen Weg jedoch uneingeschränkt akzeptierte und mich meine Erfahrungen machen lassen wollte, machte den Gedanken erträglicher.
Aus Vernunftsgründen beschloss ich, mit der Kündigung noch einige Zeit zu warten. Ich wollte mir ganz sicher sein, dass ich das Richtige tat. Meine Sicherheitswerte hatten nach wie vor einen hohen Einfluss auf mich, auch wenn die Lust auf Veränderungen mehr und mehr den Ton in meinem Leben angab.
Und mein Däne und ich hatten ohnehin im Juni unseren ersten gemeinsamen Urlaub geplant. 2 Wochen würden wir erstmals am Stück zusammen verbringen. Eine Woche in Deutschland und eine Woche Strandurlaub in Bulgarien. Fühlten sich die Kündigungs- und Auswanderungspläne nach diesen 2 Wochen noch immer richtig an, würde ich nach dem Urlaub kündigen.
Auf diese Weise kam ich zu einem kleinen Aufschub von etwa 4 Wochen.
4 Wochen, in denen sich auch mein Kopf noch etwas besser an meine neu erworbene Risikofreudigkeit gewöhnen konnte.
Und an meinen neuen Mut.