Kindermund – Leben nach dem Tod

Ein dunkler Dienstagmorgen, 6.30 Uhr. Ich sitze am Frühstückstisch und versuche, meine Lebensgeister zu wecken. Meine Tochter (zu dem Zeitpunkt 4) setzt sich neben mich. Ihr Gesicht sieht ernst aus. Eine dunkle Ahnung beschleicht mich. Sie hat etwas wichtiges auf dem Herzen…

Und schon legt sie los: „Mama, wann werden wir gegraben?“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Mein Gesicht ähnelt sicherlich einem einzigen Fragezeichen.

„Gegraben?“

„Ja, Mama!“ Meine Tochter tritt von einem Bein aufs andere und rollt mit den Augen. „G-E-G-R-A-B-E-N! Wenn wir alt sind, werden wir gegraben!“

Bei mir fällt der Groschen.

„Ah, begraben meinst du,“ rufe ich erleichtert auf, „Wir werden irgendwann einmal B-E-graben.“

Ich seufze. Nicht gerade mein bevorzugtes Thema morgens um 6.30 Uhr. Und natürlich habe ich Google noch gar nicht befragt, wie man mit Kindern über Begräbnis und Tod spricht. Ich werde mich wieder einmal durchmogeln und auf meine Intuition setzen müssen.

„Wenn wir alt sind!“, wiederholt meine kleine Tochter.

„Ja, hm“, sage ich langsam, „wenn wir alt sind, sterben wir irgendwann und dann werden wir auch begraben. Dann gehen wir in den Himmel.“

Es vergehen ein paar Sekunden.

„Graben wir uns auch wieder hoch, wenn wir fertig sind?“ Zwei neugierige Augen ruhen auf mir. Ach herrje. Was für ein Gedanke! Vor meinem Auge erscheinen runzelige Gestalten, die aus einem Grab klettern, Erdklumpen im spärlichen Haar.

„Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „Das tun wir nicht!“

Die Mundwinkel meiner Tochter zittern verdächtig. Mir schwant Schreckliches. Der Ausgang des letzten ernsthaften Gesprächs ist mir noch gut im Gedächtnis.

Mit weinerlicher Stimme bringt sie hervor: „Dann kann ich ja gar kein Playmobil mehr spielen!“

Tränen schießen mit beachtlicher Geschwindigkeit in ihre Augen. Fieberhaft suche ich nach einer passenden Antwort.

„Äh….Schatz“, sage ich hastig, „das willst du wahrscheinlich gar nicht mehr, wenn es soweit ist.“

„DOCH!!!!!“, kreischt es mir unkontrolliert entgegen.

Ich zucke erschreckt zusammen. Wo kommt nur dieses Temperament her??? In meinen Ohren rauscht es. Da ist er ja, der Tinnitus.

Das war wohl eine Schnapsidee, einer Vierjährigen zu erklären, sie könne – nein sogar sie wolle eines Tages ohne ihren Playmobil-Pferdehof inklusive der dort ansässigen 27 Pferde leben. Eine Kinderwelt bricht zusammen. Mit Pauken und Trompeten. Allzuklar erkenne ich meinen Fehler – wie immer im Nachhinein. Doch ich gebe nicht auf. Vielleicht lässt sich die Situation noch retten.

„Weißt du was“, lenke ich ein, „wenn ich es mir recht überlege, kannst du bestimmt das Playmobil mitnehmen!“

Das kleine Gesichtchen hellt sich in Sekundenschnelle auf.

„Wenn du es dann noch willst“, kann ich mir nicht verkneifen anzufügen. Zur Sicherheit sage ich den letzten Satz ganz leise.

Aufmerksam sieht meine Tochter mich an.

„Auch alle Pferde??“, fragt sie misstrauisch.

„Jawoll“, nicke ich, „jedes Einzelne“.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Es vergehen einige (friedliche) Sekunden.

„Auch unser Haus?“

Ein Seufzer entfährt mir.

„Auch unser Haus, Schatz.“

Wir nehmen einfach alles mit in die Erde bzw. in den Himmel. So einfach ist das frühmorgens um 6.40 Uhr.

Meine Tochter nickt erleichtert und dampft zufrieden ab.

Etwas unsicher, ob ich dieses Gespräch pädagogisch geschickt gelöst habe, nippe ich an meinem Cappuccino.
Der längst kalt ist.

Und wer weiß, ob wir nach unserem Tod nicht alle gemeinsam im Himmel sitzen und Playmobil spielen…

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2 Kommentare zu „Kindermund – Leben nach dem Tod“

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