Kindermund – Schmerzfreie Geburt!

Im Auto, auf der Rückfahrt von einer Geburtstagsfeier.
Die Kinder sind überdreht und übermüdet. Quengeln und Jammern sind angesagt, besonders bei unserer Großen, die auf Übermüdung sehr sensibel reagiert.

Nach einigen Kilometern wird die Geräuschkulisse unerträglich. Mein Geduldsfaden ist bis zum Äußersten gespannt. Wenige Minuten mehr in dieser Lautstärke und eine Explosion meines Temperaments steht bevor. Ein Ablenkungsmanöver muss her. Mein Blick fällt auf das höchste Gebäude Kopenhagens, an dem wir gerade vorbeifahren: Das „Herlev Hospital“, ein riesiges Krankenhaus in der Vorstadt Herlev. Dort wurde vor zweieinhalb Jahren mein Sohn geboren. Im 17. Stock, sofern ich mich nach Schlafmangel und Stilldemenz richtig erinnere.

Mit aufgesetzter Heiterkeit und lauter Stimme, um den Lärmpegel zu übertönen, rufe ich: „Kinder, seht mal! Das Hochhaus!“
Mein Finger zeigt auf das imposante Gebäude.

Zwei kleine Münder verstummen, zwei kleine Gesichter drehen sich in Richtung meines Zeigefingers.

„Dort wurde Lasse geboren! Unser Zimmer war da oben, im 17. Stock!“

Das Ablenkungsmanöver scheint zu funktionieren. Beide Kinder starren interessiert aus dem Fenster. Zufrieden lehne ich mich im Sitz zurück und atme auf. Man muss nur kreativ sein, denke ich bei mir. Eigentlich gar nicht so schwer. Ich genieße die sekundenlange Stille.

Plötzlich bricht meine Tochter das Schweigen und fragt:
„Mama, war er in Deinem Bauch?“

„Ja“, antworte ich.

„Und wie kam er da heraus?“

Ich runzele die Stirn. Keine einfache Frage.

„Ich habe ihn geboren“, sage ich langsam.

„Tut das weh?“

„Ja“, platze ich heraus und füge schnell abmildernd hinzu:
„Eine Geburt tut ein bisschen weh. Aber das macht nichts. Man freut sich nämlich sehr auf das Baby.“

Meine Tochter schweigt ein paar Sekunden und lässt diese Information sacken.

„Wurde dabei Dein Bauch geöffnet, Mama?“, fragt sie dann.

Ich nicke. Gute Formulierung für eine Kaiserschnitt-Geburt. Ich ahne, dass das Gespräch noch nicht vorüber ist und grübele, wie weit man beim Thema Geburt eigentlich ins Detail gehen soll/kann/muss, wenn der sehr interessierte Gesprächspartner erst viereinhalb Jahre alt ist. Das hätte ich mal lieber vorbeugend Google fragen sollen…

„Und danach“, setzt meine Tochter wieder an, „wurde danach Dein Bauch geschraubt?“

Kein Zweifel: Das Kind stammt eindeutig von meinem Mann, der eine handwerklich-technische Laufbahn eingeschlagen hat.

Mit einem Lächeln antworte ich: „Nein, Schatz. Der Bauch wurde nicht zugeschraubt. Er wurde zugenäht“.

Einige Sekunden Stille. Plötzlich bricht das Kind in lautes Weinen aus. Der kleine Körper wird von einem Heulkrampf geschüttelt. Das Schluchzen hallt von den Autowänden wieder.

Ach herrje, denke ich.
Vom Rücksitz brüllt es: „Ich WILL aber nicht genäht werden, wenn ich ein Kind kriege! Ich WILL NICHT, dass das weh tut!“

Kein Zweifel: Dieses Kind stammt auch eindeutig von mir, die definitiv keine Geburtsheldin darstellt.

Ich erkenne mein Versäumnis, mich vor diesem Gespräch nicht über kindgerechte Geburtsaufklärung informiert zu haben. Wer hätte auch gedacht, dass Vierjährige so ins Detail gehen und derart mitfühlen…?

Hilfesuchend werfe ich einen Blick auf meinen Mann. Der tut so, als verstünde er kein Deutsch und entzieht sich auf diese Weise dem heiklen Gespräch. Außerdem muss er sich auf die Straße konzentrieren. Und zwei Dinge auf einmal… nun ja, lassen wir das.

Ich wende mich wieder meiner Tochter zu. Diese sitzt völlig aufgelöst in ihrem Kindersitz und kann sich kaum beruhigen. Fieberhaft überlege ich, wie ich das Gespräch in eine positive Richtung lenken kann. Das fehlte ja gerade noch, dass sie – von mir verschuldet – schon in dem jungen Alter ein Trauma vor dem Thema entwickelt. Schnell erkläre ich ihr, dass die meisten Frauen ihr Kind auf die Welt bringen, ohne dass der Bauch geöffnet werden muss. Das Heulen verebbt. Ich atme erleichtert aus.

„Werde ich dann geschraubt?“

Diese Vorstellung scheint aus mir unerfindlichen Gründen nicht sehr dramatisch zu sein. Ob wohl eine Notlüge an dieser Stelle akzeptabel ist? Ich seufze und verwerfe den verlockenden Gedanken.

„Nein, Schatz! Nicht geschraubt.“

„Und wie kommt das Kind dann aus dem Bauch heraus, Mama?“

An dieser Stelle verfluche ich meine tolle Idee, die Kinder mit einer Geschichte über das Herlev Hospital von ihrer üblen Laune abzulenken.

„Das Baby kommt einfach unterhalb des Bauches raus“, antworte ich ausweichend.

„Tut das weh?“, kommt es wie aus der Maschinenpistole geschossen.

„Nein“, lüge ich. Sehr pädagogisch. Mein Kind ist jedoch erst mal beruhigt.

„Kommt das Baby an den Füßen heraus, Mama?“

Ich kichere unkontrolliert. Interessante Vorstellung.

„Nein, Schatz.“

Fieberhaft grüble ich, wie ich meiner übellaunigen, müden Tochter auf die sich unaufhaltsam nähernde Frage geschickt antworten kann.

Nach einer längeren Pause setzt sie wie erwartet fort:
„An den Knien?“

Ich verneine. Und warte auf das Finale.

Stille senkt sich über unser Auto. Nach einer Weile drehe ich mich zur Rückbank um. Beide Kinder sind erschöpft eingeschlafen. Mein Sohn schnarcht. Der Mund meiner Tochter steht weit offen.

Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Noch heute Abend werde ich Meister Google zu kindgerechten Aufklärungsmethoden befragen. Und am besten auch gleich noch zu ein paar weiteren brisanten Themen…

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8 Kommentare zu „Kindermund – Schmerzfreie Geburt!“

  1. 🙂 Das erinnert mich gerade an meine Kinder , die hatten damals eine schwangere Barbie , der man den Bauch aufklappen konnte um das Baby raus zu nehmen. Das war dann damals auch der Anfang der Aufklärungsgespräche ! L.g. Anja

    1. Hallo Anja,
      jaaa, mit solch einem Spielzeug holt man sich das Thema direkt ins Kinderzimmer 🙂
      Ich bin gespannt, wann die „richtige“ Aufklärung bei uns losgeht, aber das hat ja wohl noch ein paar Jährchen Zeit 🙂
      Mary

  2. Sehr netter Beitrag. Muss sagen, ich erinnere mich gar nicht mehr, wie das bei meinen Kindern war. Na ja, bin schon gespannt, wie sich das bei meinen Enkeln entwickeln wird. Die älteste wird im Februar 4….

    Frohe Weihnachten!

    1. Hallo Sigrid,
      ja ich hoffe ja auch, dass ich vor der „richtigen“ Aufklärung noch ein bisschen Zeit zur Vorbereitung bekomme.
      Mit 4 hatte ich ein derartiges Gespräch und vor allen Dingen die Reaktion eher nicht erwartet. Nun ja, bald starten ja wohl auch alle die typischen Warum-Fragen…. das wird spannend.
      Schöne Grüße
      Mary

  3. Kindermund ist etwas wunderbares. 2 passende Sprüche, die auf meiner HP http://www.kinderspruch.com gepostet wurden
    1) Lewis, 5 Jahre: „Mama ich bin NUR DEIN Kind, war schließlich in deinem Bauch. Papa hat mich bestellt und du hast mich zusammen gebaut.“
    2) Phillip, 5 Jahre:
    Ich bin im Krankenhaus geboren – ich weiß auch nicht, was ich Schlimmes hatte…

    Würde mich freuen demnächst einen Ausspruch deiner Kinder da zu lesen

    VG
    Enno

    1. Hallo Enno,
      danke für Dein Angebot –
      ich schreibe meine Kindermundgeschichten jedoch direkt auf meinem eigenen Blog.
      Wie Du schon gelesen hast, sind es auch lange Stories, die sind hier am Besten aufgehoben 🙂
      Viel Erfolg mit Deiner Seite und Grüße
      Mary

  4. Hallo, sehr lustige Geschichte – hab gelacht. Ich hab mich am Anfang genauso unbeholfen angestellt, mich dann über mich selber geärgert und anschliessend ganz viele Bücher dazu bestellt, die das gut und kindgerecht erklären – die gucken wir uns seitdem ab und zu an und (bisher!) alle Fragen geklärt.

    LG und bis bald,
    Sinja

    1. Liebe Sinja,
      freut mich, dass Du lachen musstest 🙂
      Ja, ich war etwas unvorbereitet, dass es mit 4 Jahren schon so in die Tiefe geht bei diesem Thema…
      Wenn Du sogar Bücher dazu gelesen hast, dann werde ich mich heute Abend mal bei Dir darüber informieren 🙂
      Liebe Grüße und bis später.
      Mary

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