Digitales Dänemark III

In den Blog-Posts „Digitales Dänemark“ und „Digitales Dänemark II“ habe ich bereits einige Bereiche des modernen, dänischen Alltags vorgestellt. Heute geht es weiter mit einer kleinen Anekdote aus einem weiteren Bereich.

Als ich vor sieben Jahren in den Norden auswanderte, war ich der felsenfesten Meinung, Deutschland sei durch und durch ein sehr fortschrittliches Land. Mit leichter Skepsis blickte ich daher auf mein künftiges Leben in Dänemark, einem Land mit einer Einwohnerzahl, die etwas unter der meines Herkunftsbundeslandes Hessen liegt (obwohl Faröer Inseln und Grönland mit eingerechnet sind…).

Ich hatte Zweifel, ob ich in solch einem kleinen Land meinen bisherigen Lebensstandard würde halten können. Der Liebe wegen wischte ich meine Bedenken jedoch beiseite.  Ich nahm mir vor, meine Ansprüche etwas zu reduzieren. Schnell stellte ich allerdings fest, dass dies in vielen Bereichen gar nicht nötig war.

Wenige Monate nach meiner Auswanderung benötigte ich ein Medikament. Hierzu musste ich das erste Mal Kontakt mit meiner dänischen Ärztin aufnehmen. Diese Ärztin hatte ich bei meiner Anmeldung auf dem Borgerservice (= „Bürgerservice“ = z.B. auch Einwohnermeldeamt) aus einer Liste ausgewählt, ganz nach dem Prinzip „am liebsten eine Frau“ und „der netteste Name auf der Liste“.  Daraufhin erhielt ich meine gelbe Versicherungskarte zugesandt, auf der Name, Adresse und Telefonnummer meiner Ärztin aufgedruckt waren. Diese Karte ist gleichzeitig Ausweis und Legitimation hier im Lande.

Eines Tages fasste ich also den Plan, die Sprechstunde dieser Arztpraxis aufzusuchen, um mir ein Rezept für das Medikament ausstellen zu lassen. Meine bessere Hälfte informierte mich mit einem milden Lächeln, dass man in Dänemark den Arzt nicht wegen jedem Firlefanz persönlich aufsucht. Man telefoniert erst einmal mit ihm. Hierfür gibt es eine tägliche Telefonsprechstunde von 8 bis 9 Uhr. Während des Anrufes entscheidet der Arzt, ob er telefonisch eine Anweisung aussprechen kann oder ob der Patient zu einem persönlichen Termin erscheinen muss. So weit, so gut.

Die Telefonsprechstunde war gut besucht, wie ich am eigenen Leib erfahren musste. Als ich schon nicht mehr mit einem Erfolg rechnete, nahm plötzlich eine Frau den Hörer ab. Ob man das Medikament in Dänemark überhaupt schon kannte? Nervös und etwas holperig brachte ich mein Anliegen vor. Umständlich erklärte ich schließlich, dass es in Deutschland das Medikament XY gab. Die Ärztin hörte sich meine Ausführungen kommentarlos an. Ich wurde unsicher und fragte, ob sie von dem Medikament schon einmal gehört hatte.

Stille am anderen Ende der Leitung.
Ich kratzte mich am Kopf. War mein dänisches Kauderwelsch richtig angekommen? Papperlapapp, beruhigte ich mich, wir hatten in der Sprachschule Arztbesuche geübt.

„Ob ich das Medikament kenne?“
Die Stimme der Ärztin zerschnitt plötzlich die Stille.
„SELBSTVERSTÄNDLICH! „, fügte sie betont langsam hinzu, „Es ist hier genauso üblich wie wohl auch in Deutschland.“

Hm. Bildete ich es mir nur ein, oder hatte ich mir soeben nicht gerade eine neue Freundin gemacht?

„Phantastisch!“, versuchte ich die Situation zu retten. „Ich brauche ein Rezept. Wann kann ich das abholen?“

„Welche Apotheke?“, fragte die Ärztin. Ihre Stimme klang von oben herab.

Apotheke?
So weit war ich noch nicht in meiner Planung. Ich wollte lediglich ein Rezept. Immer schön eins nach dem anderen.

„Apotheke?“, murmelte ich schließlich etwas schwerfällig. Ich konnte förmlich die Finger der Ärztin auf ihrem Schreibtisch trommeln hören. Sie erläuterte: „Welche Apotheke ziehst Du vor. Svane Apotheke oder Lyngby Apotheke?“

„Lyngby Apotheke“, antwortete ich schnell. Wo immer diese auch lag. Weit konnte sie nicht sein.

„In cirka 10 Minuten kannst Du Dein Medikament abholen.“

10 Minuten????
Die Ärztin setzte zum Abschied an.

„Und das Rezept?“, fragte ich schnell.

Wieder einige Sekunden Stille. Irgendetwas sagte mir, dass ich bei diesem Telefonat keine allzugute Figur machte…

Die Ärztin antwortete: „Das Rezept ist längst bei der Apotheke.“

In meinem Kopf arbeitete es. Ich sah kleine rosa Zettel mit wilden handschriftlichen Kritzeleien vor mir, vom Arzt ausgestellt, vom Patienten brav in die Apotheke transportiert, vom Apotheker mühsam in ordentliche Buchstaben und Medikamentennamen übersetzt.

Mir wurde erklärt, dass der Rezeptversand hier in Dänemark digital erfolgte. Man ging lediglich zur Apotheke gehen und zeigte die gelbe Versicherungskarte und das Rezept wurde ausgelesen. Ich war beeindruckt. Ein weiteres Stück meiner anfänglichen Überheblichkeit gegenüber  Dänemark schwand. Die Dänen schienen nicht so altmodisch zu sein, wie ich gedacht hatte. Im Gegenteil.

An solchen Beispielen wurde mir nach und nach auch klarer, wieso wir Deutschen bei unseren dänischen Nachbarn ein wenig modernes Image haben. Noch heute arbeite ich daran, meine dänischen Landesgenossen vom Gegenteil zu überzeugen 🙂

Einige Jahre später wechselte ich die Arztpraxis aufgrund unseres Umzuges ins Kopenhagener Umland. Trotz Umzug aufs Land nahm die weitere Digitalisierung ihren Lauf.

Von nun an konnten wir (in nicht akuten Fällen) die Telefonsprechstunde gänzlich umgehen. Wir erhielten in der neuen Gemeinschaftspraxis einen gesicherten Praxis-Login und schreiben seither dem Arzt einfach eine E-Mail. Dieser meldet sich daraufhin per E-Mail zurück, gibt eine ärztliche Anweisung, sendet bei Bedarf parallel ein Rezept in die Apotheke oder vergibt bei Notwendigkeit einen persönlichen Termin.

Auf diese Weise haben wir bereits unzählige Stunden Wartezeit in überfüllten Wartezimmern eingespart.

Apropos Wartezimmer. Die sind in Dänemark aus unerfindlichen Gründen nicht überfüllt. Bei einem im Vorfeld vereinbarten Termin in einer gewöhnlichen Arztpraxis (Krankenhaus-Notaufnahme ausgenommen) wartet man nie länger  als 15 Minuten. Eines Tages lauschte ich der Konversation zweier dänischer Damen, die sich über die „katastrophale Wartezeit“ bei ihrem letzten Arzttermin entrüsteten. Wie könne das nur sein, so die eine, der Termin war schließlich vereinbart und der Arzt müsse seine Planung ja wohl im Griff haben. 30 Minuten seien definitiv ein Unding, pflichtete die andere ihr bei, diese RESPEKTLOSIGKEIT gegenüber den Patienten könne sich eine Praxis definitiv nicht herausnehmen. Man müsse sich direkt massiv beschweren, damit so etwas nicht mehr vorkomme!

30 Minuten??? Mit gerunzelter Stirn dachte ich an meine früheren Besuche beim Gynäkologen, beim Hautarzt oder in der Sprechstunde des Allgemeinmediziners. Bis zu zwei Stunden und mindestens drei Kapitel in einem mitzubringenden, spannenden Buch waren regelmäßig drin. Diese Wartezeiten hatte ich bislang auch nicht hinterfragt. Wann soll man in der Hektik des Alltages denn sonst lesen? Die Dänen sind wirklich ein ungeduldiges kleines Völkchen …

Digitales Dänemark – Teil 4

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5 Kommentare zu „Digitales Dänemark III“

    1. Ja, Elisabeth, das ist eine gute Frage….
      Es ist schwer, so ein großes Land diesbezüglich zu revolutionieren. Das war in einem so kleinen Land wie DK etwas einfacher, denke ich.
      Schöne Grüße
      Mary

      1. Ich denke, das liegt weniger an der Größe. Mehr an der Mentalität. Die Deutschen machen sich Gedanken über die Sicherheit ihrer Daten und um ihre Privatspäre, aber verlieren ihre Smartphones und Kameras, auf denen sich die einzigen Kopien der Familienfotos der letzten Jahre befinden. Es werden täglich unendlich viele USB Sticks mit teilweise brisanten Daten verloren, Unterlagen einfach ungeschreddert ins Altpapier geworfen usw. usw. – aber Onlinebanking ist ja schon beinahe des Teufels. Und gar online mit dem Arzt kommunizieren? Geht ja gar nicht. Die Diskussionen um die „elektronische Gesundheitskarte“ sind doch endlos, und man nutzt noch längst nicht alles, was man nutzen könnte.

      2. Hallo Michael,
        ja, das haben wir ja auch schon ein bisschen auf Facebook diskutiert.
        Es ist ein Stück weit eine Doppelmoral bei den Deutschen. Vielleicht weiß man auch noch nicht so genau, was man eigentlich möchte. Einerseits wird Facebook & Co & viel genutzt und das Leben minutiös digital festgehalten, andererseits gehen viele dennoch schlampig mit Daten um.
        Wobei: Die, die FB nutzen und digitale Bilder schießen, nutzen wahrscheinlich auch Online-Banking.
        Vielleicht ist die Bevölkerung einfach stark polarisiert, gespalten?
        Und deswegen gehts nicht weiter mit dem digitalen Fortschritt?
        Ich weiß es nicht.
        Ich glaube, es liegt sowohl am übersteigerten Sicherheitsdenken (das haben die Dänen einfach gar nicht, geht schon beim Job los – man ist weniger ängstlich, die Sicherheit sieht man eher im staatlichen Auffangnetz, und die hat D. ja auch genauso). Und andererseits auch an der Größe. Je größer die Masse, je träger.
        Meine Theorie dazu.
        LG
        mary

  1. Hy Mary
    Sehr interessant & amüsant! Ja, Deutschland könnte schon noch etwas mehr Moderner werden. Mein Mann ärgert sich immer über das Mobile Broadband (3G/4G ist oftmals nicht verfügbar) wenn wir wieder da sind. Arztbesuche in der Schweiz sind anscheinend auch sehr interessant. Meine ehemalige Arbeitskollegin hatte mal einen Termin verpasst und bekam dafür sogar eine Rechnung von CHF 150,- (ca. EUR 124.87). Unglaublich…andersrum wurde ihr jedoch nichts gutgeschrieben 😉

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