Meine Tochter hat vor längerem aus der Verwandtschaft ein etwas – sagen wir mal – spezielleres Geschenk bekommen. Schon beim Auspacken wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Es ist eine Stoffpuppe von Sigikid und sie heißt „Erwin, der kleine Patient“.
Erwin ist eine ganz besondere Stoffpuppe, für Kinder ab 2 Jahren.
Denn mit Erwin kann man nicht nur kuscheln. Erwin kann man operieren. Er hat ein sehr wirklichkeitsgetreues weißes OP-Hemdchen an. Vorne lang, hinten offen. So können kleine Doktoren ohne Umschweife an die wichtigen Teile des zu untersuchenden Körpers gelangen. Und damit nicht genug! Erwins Bauch hat einen langen Reißverschluss. Dieser kann vollständig geöffnet werden und gibt Einblick in das Innere eines menschlichen Körpers. Herz, Lunge, Magen – alles da. Und einen langen grünen sowie blauen Darm gibt es auch noch. Dazu noch Klettstreifen, die die Organe ordentlich auf ihrem Platz halten sollen. Alles kindgerecht erstellt, in hübschen bunten Farben und aus kuschelig-weichem Stoff.
Etwas ungewöhnlich, denke ich mir, aber sicher keine schlechte Idee. Heutzutage ist Spielzeug schließlich stets konzipiert nach dem Motto „Spielst Du noch oder lernst Du schon?“. Erwin ist somit ein intelligentes Spielzeug aus der Kategorie „positive Körpererfahrung“ und mit seiner Hilfe lernen die Kinder spielerisch, was sich alles innerhalb ihres Körpers befindet.
Soweit so gut.
Die Puppe saß nun lange im Regal oder auf dem Bett der neuen Besitzerin.
Bis sie eines Abends ihren ersten Einsatz hatte!
Beim abendlichen Zubettgeh-Ritual sammelte meine Tochter ihre Gefolgschaft für die kommende Nacht zusammen. Ihr obligatorisches Kuscheltuch zum Schlafen, dann noch ein Gespenster-Bär (= ein Bär zur Abwehr von Gespenstern) und eine Gespenster-Hello-Kitty (= eine Hello-Kitty-Katze, die ebenfalls zur Gespenstervertreibung eingesetzt werden kann). Derzeit treiben viele Gespenster ihr Unwesen in Kopenhagen und Umgebung.
Am besagten Abend fehlte jedoch noch etwas. Meine Tochter schaute sich unschlüssig um. Misstrauisch beobachtete ich sie und vermutete eine weitere Taktik, mit der das Einschlafritual hinausgezögert werden sollte. Wenig später hatte sie jedoch gefunden, was noch zum geplanten Einschlafen fehlte.
Erwin. Die Sigikid-Puppe mit dem OP-Hemdchen.
Sie holte die Puppe ins Bett und ich atmete erleichtert auf. Das war ja einfach gewesen.
Doch was tat sie nun?
Das OP-Hemdchen wurde hochgezerrt, und ich hörte das Geräusch eines Reißverschlusses. Wenig später flog Erwin mit offenem Bauch in hohem Bogen durchs Kinderzimmer. Er landete mit dem Gesicht auf dem Teppich.
Andächtig und sorgfältig arrangierte meine Tochter die bunten Organe Herz, Lunge, Magen und Gedärme unter ihrer Bettdecke und legte sich nach vollbrachtem Werk mitten hinein in ihr Sammelsurium aus kleinen Stoff-Freunden und kuscheligen Innereien.
Leicht ratlos runzelte ich die Stirn und hob den armen Erwin auf.
„Schatz – magst Du nicht auch die Puppe mit ins Bett nehmen? Dann können wir den Bauch wieder zumachen!“ , versuchte ich es vorsichtig, unsicher, ob Eltern eigentlich erzieherisch eingreifen müssen, wenn das Kind auf diese rabiate Weise Organraub betrieb.
„Nein, Mama“, klärte mich meine Tochter geduldig auf, „ich brauche die Puppe gar nicht zum Schlafen. Nur die anderen Sachen!“
Zur Erklärung zog sie einen grünen Darm unter der Bettdecke hervor und hielt ihn mir baumelnd hin.
Ich nickte und seufzte. Der Darm verschwindet wieder unter der Decke. Wenig später ertönten friedliche, tiefe Atemzüge. Ich löschte das Licht und verließ das Zimmer.
Und weiß immer noch nicht so recht, was ich von diesem intelligenten Spielzeug halten soll 🙂