Digitales Dänemark VI – Das gläserne Auto

Nicht nur Dänemarks Einwohner sind gläsern, nein, auch dessen Fahrzeuge!

Stellen Sie sich vor, Sie wären keine sonderlich ehrliche Haut und wollten ihr Auto verkaufen. Hierzu formulieren Sie eine hübsche Annonce. Das Auto ist ganz schön in die Jahre gekommen, und Sie sind – nun ja, nicht gerade pfleglich mit dem Fahrzeug umgegangen. In der Annonce verschweigen Sie daher lieber ein paar kleinere Macken und sind Sie besonders unverfroren sind, auch ein paar Größere.

Dank verkaufstüchtigem Text melden sich die ersten Interessenten. Es dauert gar nicht so lange und Sie kriegen einen davon herum. Verkauft wie besehen und getestet. Privatverkauf, Rücknahme ausgeschlossen. Das Auto rollt von Ihrem Grundstück und Sie reiben sich die Hände. Geschafft!

Nicht so in Dänemark.

In Dänemark wissen die potentiellen Käufer, die Ihr Auto besichtigen kommen, wahrscheinlich mehr Bescheid über das Gefährt als Sie selbst. Denn im Internet befinden sich – für jeden frei zugänglich – spannende Informationen zu allen Fahrzeugen im Land. Die Interessenten werden vor ihrem Besuch also Daten wälzen.  Sie benötigen lediglich das Kennzeichen des Autos, das sie entweder auf dem Foto in Ihrer Annonce entziffern oder das sie ganz unverfroren bei Ihnen erfragen. Steht das Auto bei einem Händler ohne aktuelles Kennzeichen, wird der Händler todsicher um die Fahrgestellnummer des Objekts gebeten. Eines ist sicher – wird Kennzeichen oder Fahrgestellnummer nicht herausgerückt, zieht der Interessent höchstwahrscheinlich einfach zum nächsten Gebrauchtwagen weiter. Der Markt ist schließlich voll davon.

Hat der Käufer erst Kennzeichen oder Fahrgestellnummer, werden eine Reihe relevanter Informationen eingeholt, bequem über eine Webseite wie http://www.nummerplade.net. Sämtliche synsrapporter seit 2005 (das dänische Pendant zum TÜV-Bericht) können eingesehen werden, mit allen guten und weniger guten Anmerkungen des strengen Prüfers. Weiterhin kann gecheckt werden, ob auf dem Fahrzeug noch eine Restschuld registriert ist. Bequem finden Sie dann die Kilometerzahl des letzten synsrapports und vergleichen diese mit der Verkaufsannonce. Etwaige Manipulationen des Kilometerstandes sind auf diese Weise schnell aufgedeckt. Last but not least erfahren Sie auch noch, ob das Fahrzeug früher einmal als Taxi o.ä. unterwegs war.

Derart gerüstet machen sich potentielle Käufer schließlich auf den Weg zu Preisverhandlungen. Die Verkäufer tun unter diesen Voraussetzungen also ganz gut daran, sich in Ehrlichkeit zu üben.

Mein Däne ist aktuell als Käufer auf genanntem Markt unterwegs und spielt fleißig „big brother is watching you“ bei all den Autos, auf die er ein Auge geworfen hat. Für den Käufer ist das gläserne Auto ein Stück höhere Sicherheit auf einem Markt voller Unsicherheiten.

Das gläserne Auto ist darüber hinaus auch ganz praktisch beim Kauf von Ersatzteilen. Man (oder Frau?) fährt einfach zum nächsten Ersatzteile-Händler und gibt dem netten Mann (oder der netten Frau?) das Kennzeichen des Autos. Dieses wird in den Computer getippt, der daraufhin das gewünschte Ersatzteil in der passenden Variante genau für diese Automarke, dieses Modell und diese Serie auswirft. Im Kennzeichen sind alle relevanten Angaben gespeichert. An Fahrzeugscheine oder ähnliche Papiere erinnere ich mich ohnehin nur noch dunkel – in meinem Auto befindet sich jedenfalls nichts dergleichen. Wie sollte ich also dem netten Mann (oder der netten Frau) erklären können, für welches Auto, Marke, Modell, Serie das Ersatzteil benötigt wird? Da lobe ich mir doch diese Kennzeichenvariante! Denn das Kennzeichen habe ich vor Jahren einmal abfotografiert und dieses Bild befindet sich jederzeit abrufbereit auf meinem Handy 🙂

Zu guter letzt muss das Ersatzteil nur noch aus dem Lager geholt werden. Ausprobieren entfällt. Es passt garantiert. Wie praktisch.

Vor einer Woche habe ich mit dem gläsernen Auto jedoch eine Erfahrung der etwas anderen Art erleben müssen. Vor einigen Jahren überführte ich mein deutsches Auto nach Dänemark (und bezahlte teuer dafür… ). Als ich es versicherte, musste ich die jährliche Kilometerleistung einschätzen. Da wir das Auto zu diesem Zeitpunkt lediglich für Einkäufe und Ausflüge nutzten und nicht für den täglichen Arbeitsweg, gab ich < 5.000 Kilometer an. Seit etwa einem Jahr nutze ich das Auto jedoch auch für die Fahrt zum neuen Job… Das Thema Versicherungsanmeldung und Angabe der Jahreskilometer war jedoch längst vergessen. Bis das Auto neulich bei der syn war, also beim dänischen TÜV…

Was soll ich sagen… Keine Woche dauerte es und in meiner E-Box lag ein offizielles Schreiben meiner Versicherung (Briefe bekommen wir in unserem digitalen Land ja nicht mehr). Ich loggte mich also in meinen digitalen Briefkasten ein und begann zu lesen, während mir mit jeder Zeile mehr Schweißperlen auf meine Stirn traten.

„Dein Auto war vor wenigen Tagen zur syn, wobei konstatiert werden konnte, dass seit der letzten Registrierung vor zwei Jahren insgesamt 20.000 Kilometer gefahren worden sind. Dies deckt sich leider nicht mehr mit Deiner Angabe „< 5.000 Kilometer“. Deine Versicherung wird daher auf die nächste Stufe 5-12.000 Kilometer angehoben. Der neue Preis beträgt X, die Änderung tritt am 1.9. in Kraft. Mit freundlichen Grüßen, Deine Versicherung.“

An dieser Stelle ließ ich meinen Atem ein Stück weit zwischen den Zähnen entweichen. Es hätte schlimmer kommen können – Dänemark ist schließlich für seine drakonische Strafen bekannt und Regel- oder Gesetzesübertritte sollten wenn möglich absolut vermieden werden.

Tja, so schnell werden Zechpreller (ob bewusste oder unbewusste) entdeckt und überführt.

Gläsernes Auto eben, mit allen Konsequenzen!

4 Kommentare zu „Digitales Dänemark VI – Das gläserne Auto“

    1. Ja, das Erschrecken wird meist aus deutschen Reihen gefühlt 🙂
      Wenn ich meinem Mann erzähle, dass das doch auch gefährlich sein könnte, winkt er nur ab. „Ach Ihr Deutschen“. Das ist die typische Reaktion der meisten Dänen. Sie können überhaupt keine beängstigenden Möglichkeiten darin sehen, nur Vorteile. Auch wenn man ihnen die Historie erklärt und dies als Grund nennt, dass ein Staat bei Missbrauch eben zu viele Möglichkeiten hätte, winken sie ab.
      „Sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich, dass sich so etwas nochmal wiederholt“…
      Tja, so unterschiedlich ist eben das Gepäck, das die Nationen mitbringen.

      LG
      Mary

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