Mein Mann ist seit einiger Zeit ohne Arbeit. Ein Stück weit ist das bewusst von uns so gewählt, denn auf lange Sicht war es doch extrem stressig mit Haus, 2 so kleinen Kindern und 2 Jobs (wovon beide fast Vollzeit sind, und einer 2 Stunden täglich pendelt). Uns fehlt nämlich ein Familiennetzwerk, das heißt wir stemmen sämtliche Aufgaben zu 100 % alleine.
Derzeit genießen wir also die Zeit, in der nur ein Elternteil arbeiten und pendeln geht (nämlich ich), und in der der andere (nämlich mein Mann) sich bequem um Haus, Einkauf und das Hinbringen und Abholen der Kinder kümmern kann. Wir sind alle sehr entspannt. Manchmal frage ich mich leise, wie das funktionieren soll, wenn mein Mann hoffentlich bald einen passenden Job findet. Er hat immer mal wieder ein gutes Gespräch, und irgendwann wird eben ein Arbeitgeber auch höchstwahrscheinlich zuschlagen.
Worüber wir uns RIESIG freuen werden – und aber besonders ich auch erst mal wieder ganz schön strampeln muss, bis ich mich an die dann wieder gleichmäßig verteilte Arbeitsbelastung in Bezug auf die Zwerge gewöhnt habe.
Damit ich nicht ganz aus der Übung komme, übernehme ich hin und wieder einen einzelnen Bring- oder Abholdienst zur/aus der Vuggestue (Kiga/Kita). Wenn man das eine Weile nicht gemacht hat, kommt man doch ganz schön ins Schwitzen….
Am Dienstag Morgen habe ich also mal wieder das Hinbringen trainiert 🙂
Ein Großteil des Dienstes besteht darin, die Zwerge überhaupt morgens zeitgleich und pünktlich fertig zu kriegen.
Sanftes Aufwecken, Morgenmuffelei geschickt in gute Laune umwandeln, nebenbei Frühstück zubereiten, Windeln wechseln, Anziehen, selbst einen Happen in den Mund schieben, die Zwerge zum Essen animieren, umgeschüttete Milch aufwischen, den kleinsten Zwerg dazu überreden, ordentlich zum Zwecke der Sicherheit auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, damit er nicht runterfällt; wahlweise den für die Mahnungen ignoranten runtergefallenen Knirps trösten und Tränen wegwischen, 4 Tupperschüsseln reinigen oder gereinigt aus dem Schrank holen (wo sind die Deckel?), für jeden Zwerg sowohl eine Schüssel mit Obst für die Zwischenmahlzeiten als auch eine Schüssel mit belegten Broten und Rohkost füllen, alles in den Kühlschrank stellen und dem kleinsten Zwerg verbieten, die Schüsseln alle aus dem Kühlschrank zu stehlen, sie zu öffnen und sich das Essbare wahllos in das kleine Mündchen zu stopfen.
Wenn alles fertig ist, heißt es nur noch Zähne Putzen, Klamotten fertig anziehen, Haare kämmen. Jetzt zur Winterzeit ist dann Einpacken in wärmste Kleidung angesagt, was das Gesamtprojekt ebenfalls weiter verzögert.
Wenn wir aber nach guten 1,5-2 Stunden mit allem fertig sind, hat sich die darauffolgende Prozedur in den letzten Monaten doch deutlich vereinfacht. Liva wollte am Dienstag mit ihrem Laufrad selbst fahren, und Lasse LIEBT es, in seinem Sitz auf meinem Fahrrad mitzufahren. Vor wenigen Monaten mussten die Zwerge in den Fahrradtrailer manövriert werden, und das dauerte länger und war auch deutlich anstrengender, mit dem Fahrrad zu ziehen. Immerhin sprechen wir mittlerweile von über 25 kg Kindern und 5 kg Gepäck für einen Tag in der Vuggestue.
Dänemark ist ein sehr flaches Land. Nennenswerte Gebirge gibt es hier eigentlich nicht, und mein dänischer Mann war bei seinem ersten Besuch an der Bergstraße schon vom Odenwald höchst beeindruckt. Bei Spaziergängen rund ums Auerbacher Schloss und die Starkenburg fühlte sich der Däne wie unsereins im Himalaya.
Aber ausgerechnet Stenløse, unserere gemütliche Schlafstadt im Großraum Kopenhagen, ist rundherum und mittendrin hügelig. Ich habe meinen Lebtag noch nicht so hügelig gewohnt wie hier im flachen Dänemark. Wie oft habe ich schon die Anstiege auf dem Weg zum Supermarkt oder mit 25 kg hinter mir (plus 5 kg Gepäck) auf dem Weg zur Vuggestue verflucht. Denn gleichzeitig ist Dänemark ja auch das Land der Fahrradfahrer, und die meisten Strecken legen wir mit einem Fahrrad zurück.
Ich wies also Liva vorsichtig darauf hin, dass wir gleich zu Anfang unserer gut 1,5 km langen Fahrtstrecke einen ordentlichen Hügel zu bezwingen haben. Liva zeigte sich unbeeindruckt und erzählte, dass sie den Berg natürlich alleine erklimmen kann.
Wir schnallten also Lasse und die 5 kg Gepäck auf mein Fahrrad, Liva zückte ihr Laufrad und wir machten uns auf die Reise.
Nach cirka 200 m begann der Hügel und guter Dinge versuchte ich, Lasse und das Gepäck motiviert nach oben zu treten. Nach 5 Metern hörte ich von hinten die ersten schallenden Klagelaute meiner Tochter.
„Mama, ein Berg!!!“
„Ja, Liva mein Schatz, das hab ich ja gesagt, wir müssen einen Berg hoch! Komm schon, ist gar nicht so anstrengend, wenn man erst mal losgefahren ist!“.
„NEIN, Mama, das geht nicht. Du musst mich schieben“
Seufz. Ich wusste es. Ich erklärte meiner Tochter, dass ich weder Beine noch Hände frei habe, und dass sie den Berg gut schaffen kann.
Dazwischen rief ich motivierende Laute, die man auch bei einem Marathon gut den verzweifelt angestrengten Läufern kurz vorm Ziel zurufen kann, damit sie nicht jetzt noch kurz vorher aufgeben. Entgegenkommende Autofahrer und Spaziergänger mit Hund schauten mich verwundert dabei an. Aber es funktionierte. Nach 5 Minuten hatten wir die Bergspitze erreicht und Liva düste auf und davon. Berg geschafft.
Wir wählten einen Pfad, der von der Straße wegführt und ich war wirklich sehr beeindruckt, wie einfach meine Kinder in den letzten Wochen doch geworden sind. Das Hinbringen in die Vuggestue ist ja fast ein Klacks, dachte ich.
Weiter vorne gab es eine Abzweigung auf dem Pfad, und man konnte geradeaus, recht sowie links reinfahren. Wir müssen nach links.
Liva fuhr ein Stück hinter mir, zu meiner linken Seite, und ich rief ihr zu: „Liva, da vorne müssen wir nach links“ und radele munter weiter. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, dass meine Tochter mit 3 3/4 Jahren rechts und links unterscheiden kann. Sie ist ja zu allem Übel auch eine weibliche Person.
Es kam also, wie es kommen musste: Ich fuhr nach links und meine Tochter wählte den Weg geradeaus. Sie fuhr somit direkt in mich rein und verlor den Kampf gegen mein großes Rad. Mein Rad strauchelte ein wenig, ihres fiel mit einem großen Getöse um, inklusive der Fahrerin. Verdutzt schauten wir beide ein paar Sekunden drein.
Dann machte ich mich daran, die Situation zu retten.
Doch wie?
Livas Fahrradhelm war beim Aufstehen runtergerutscht und abgefallen. Ihr Fahrrad lag verdreht auf dem Boden, der Lenker war parallel zum Reifen verzogen.
Auf der anderen Seite mein vollbepacktes Fahrrad mit Lasse und 5 kg Gepäck. Mein Ständer hält das Fahrrad nicht mal ohne Lasse und Gepäck aufrecht. Eine Laterne stand in der Nähe, und einer ersten Eingebung folgend, versuchte ich, das Fahrrad mit Gepäck und Lasse stabil gegen die Laterne zu stellen. Fehlanzeige.
Blieb mir also eigentlich nur übrig, den kleinen Zwerg komplett vom Fahrradsitz abzuschnallen (Sicherheitsgurt für den Körper plus 2 Sicherheitsgurte für die Füße), das Gepäck abzunehmen, den Zwerg runterzusetzen, das Fahrrad abzustellen, Livas Lenker wieder zurückzubiegen, den Helm wieder aufzusetzen und festzuschnallen, währenddessen Lasse beim unkontrollierten Weglaufen in eine unbekannte Richtung zuzusehen, danach Lasse wieder einzufangen, ihn unter großem Protest von neuem in den Sitz zu setzen, den Körpergurt anzuschnallen, die Fußgurte anzubringen, Gepäck aufzuladen und weiter zu fahren.
Geschätzte Verzögerungszeit: 20 Minuten.
Doch der Himmel hatte ein Einsehen mit mir: Nur wenige Meter vor mir war ein Mann mit seinem Hund gelaufen. Er telefonierte mit einem Handy und rauchte Pfeife dabei. Als er mich mit dem Fahrrad an der Laterne abmühen sah, guckte er interessiert zu. Wenig später kam er zu uns und fragte, ob er behilflich sein kann.
WAS für eine rhetorische Frage! Aber ja doch! Den Mann mit der Pfeife schickte der Himmel!
Der Mann beendete sein Gespräch, und bog Livas Lenker in die richtige Richtung. Danach zeigte ich ihm, wie er mein Fahrrad mit Gepäck und Kind drauf stabil halten kann, während ich Livas Fahrradhelm wieder aufsetze und festschnalle. Lasse fand die rauchende Pfeife irre spannend und brüllte dem verdutzten Herrn lautstark „Hej“ ins Gesicht, obwohl dieser sich nur 10 cm Luftlinie von ihm weg befand. Danach half ich Liva aufs Laufrad und bedankte mich 1000 mal bei dem netten Retter der Situation.
Der Herr meinte zum Abschied kopfschüttelnd: „Alter Schwede, Du hast aber auch ganz schön viel um die Ohren mit zwei Knirpsen in DEM Alter gleichzeitig!“ Wo er recht hat, hat er natürlich recht.
Wir düsten munter und gut gelaunt weiter.
Gesamte Verzögerungszeit: 5 Minuten!
Ich entschuldigte mich bei Liva wortreich dafür, dass ich sie über den Haufen gefahren habe und ihr nicht deutlicher gezeigt habe, wo wir entlangfahren werden. Und lobte sie dafür, wie locker sie den kleinen Sturz und Schreck überstanden hatte. Denn sie hatte nicht einmal gejammert.
Livas Kommentar: „Ach Mama, macht doch gar nichts. Das war ja nicht Deine Absicht…“.
Damit war der Fall direkt und abschließend für alle geklärt.
Herrlich….Die Situation kann ich mir gerade bildlich vorstellen.